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22. Gesetz über Allgemeine Bestimmungen
zum Schutz vor sexualisierter Gewalt
(Allgemeine Gewaltschutzbestimmungen – AGSB)

Vom 25. November 2021

(Abl. 70 S. 1)

und


23. Verordnung des Oberkirchenrats zur Ausführung
der Allgemeinen Gewaltschutzbestimmungen
(Ausführungsverordnung AGSB – AVO AGSB)
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Vom 14. Februar 2023
(Abl. 70 S. 501)
Die Landessynode hat das folgende kirchliche Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
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§ 1
Begriffsbestimmungen, Geltungsbereich

( 1 ) Eine Verhaltensweise ist sexualisierte Gewalt, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. Sexualisierte Gewalt kann verbal, nonverbal, durch Aufforderung oder durch Tätlichkeiten geschehen. Sie kann auch in Form des Unterlassens geschehen, wenn die Täterin oder der Täter für deren Abwendung einzustehen hat. Sexualisierte Gewalt ist immer bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches und § 201a Absatz 3 oder §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches in der jeweils geltenden Fassung gegeben.
( 2 ) Gegenüber Minderjährigen kann sexuell bestimmtes Verhalten im Sinne des Absatzes 1 insbesondere unerwünscht sein, wenn eine körperliche, seelische, geistige, sprachliche oder strukturelle Unterlegenheit und damit eine gegenüber der Täterin oder dem Täter fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung gegeben ist. Bei Kindern, das heißt bei Personen unter 14 Jahren, ist das sexuell bestimmte Verhalten stets als unerwünscht anzusehen.
( 3 ) Gegenüber Volljährigen kann sexuell bestimmtes Verhalten im Sinne des Absatzes 1 insbesondere unerwünscht sein, wenn die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist.
( 4 ) Die Begriffsbestimmungen für sexualisierte Gewalt und unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten nach Absätzen 1 bis 3 gelten für alle landeskirchlichen Rechtsnormen, welche diese Begriffe verwenden, soweit keine abweichenden Bestimmungen getroffen wurden.
( 5 ) Mitarbeitende im Sinne dieses Gesetzes sind alle Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, einem privatrechtlichen Dienst-, Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis oder ehrenamtlich bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg tätig sind.
( 6 ) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt dieses Gesetz für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Für die Kirchengemeinden, Kirchenbezirke, Kirchlichen Verbände und kirchlichen öffentlich-rechtlichen Stiftungen gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach Maßgabe der Kirchengemeindeordnung, der Kirchenbezirksordnung, des Kirchlichen Verbandsgesetzes und der Verordnung des Oberkirchenrats über die Stiftungsaufsicht entsprechend. Für den Bereich des Diakonischen Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e. V. gilt dieses Gesetz nach Maßgabe seiner Satzung.
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§ 2
Allgemeine Pflichten der Dienststellenleitungen

( 1 ) Wer kirchliche Angebote der Evangelischen Landeskirche in Württemberg wahrnimmt oder entsprechend § 1 Absatz 5 in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg mitarbeitet, ist vor allen Formen sexualisierter Gewalt zu schützen.
( 2 ) Unangemessenen Verhaltensweisen, die die Grenze zur sexualisierten Gewalt nicht überschreiten, ist durch geeignete Normen, Regeln und Sensibilisierung entgegenzutreten.
( 3 ) Leitungen von Dienststellen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sollen jeweils für Ihren Bereich
  1. Risikoanalysen als Grundlage zur Erstellung institutioneller Schutzkonzepte zum Schutz vor sexualisierter Gewalt durchführen, um strukturelle Maßnahmen zur Prävention dauerhaft zu verankern (Präventionsmaßnahmen),
  2. in Fällen eines begründeten Verdachts auf sexualisierte Gewalt angemessen im Rahmen strukturierter Handlungs- und Notfallpläne intervenieren (Interventionsmaßnahmen),
  3. Betroffene, denen von Mitarbeitenden Unrecht durch sexualisierte Gewalt angetan wurde, in angemessener Weise unterstützen (individuelle Unterstützungsmaßnahmen),
  4. Ursachen, Geschichte und Folgen sexualisierter Gewalt aufarbeiten, wenn das Ausmaß des Unrechts durch Mitarbeitende, Dienstnehmer oder ehrenamtlich Tätige dazu Anlass bietet (institutionelle Aufarbeitungsprozesse).
( 4 ) Der Oberkirchenrat unterstützt Leitungen von Dienststellen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, die Kirchengemeinden, Kirchenbezirke, Kirchlichen Verbände und öffentlich-rechtlichen Stiftungen durch Rahmenkonzepte gegen sexualisierte Gewalt, die auch einen Überblick über Präventionsangebote und -instrumente und eine Weiterentwicklung bestehender Angebote ermöglichen.
( 5 ) Leitungen von Dienststellen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sollen sich bei der Implementierung und Weiterentwicklung institutioneller Schutzkonzepte in ihrem Verantwortungsbereich insbesondere an folgenden Standards orientieren:
  1. Die Verantwortung zur Prävention, insbesondere durch die Erstellung eines einrichtungsspezifischen Präventionskonzeptes, wird einrichtungsspezifisch verankert.
  2. Die Frage sexualisierter Gewalt wird regelmäßig in Leitungsgremien thematisiert.
  3. Ein einrichtungs- und arbeitsfeldspezifischer Verhaltenskodex oder eine Selbstverpflichtungserklärung Mitarbeitender, deren Inhalte regelmäßig zum Gesprächsgegenstand gemacht und weiterentwickelt werden, wird implementiert.
  4. Fortbildungen aller Mitarbeitenden zum Nähe- Distanzverhalten, zur grenzachtenden Kommunikation und zur Prävention zum Schutz vor sexualisierter Gewalt werden dienstlich angeordnet.
  5. Partizipations- und Präventionsangebote sowie sexualpädagogische Konzepte für Minderjährige und Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen unter Beteiligung und Einbeziehung der Erziehungsberechtigten, Betreuer oder von Vormündern werden gemacht.
  6. Notfall- oder Handlungspläne, die ein gestuftes Vorgehen im Fall eines Verdachts auf sexualisierte Gewalt vorsehen, werden bereitgestellt.
( 6 ) Mitarbeitende werden in geeigneter Weise auf ihre Rechte und Pflichten hingewiesen. Verpflichtungen nach den Vorschriften des staatlichen Rechts zum Schutz Minderjähriger oder Volljähriger in einem Abhängigkeitsverhältnis bleiben unberührt.
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§ 3
Melde- und Ansprechstelle, Unabhängige Kommission

( 1 ) Beim Evangelischen Oberkirchenrat wird für Fälle eines begründeten Verdachts auf sexualisierte Gewalt im Geltungsbereich gemäß § 1 Absatz 6 Sätze 1 und 2 eine Melde- und Ansprechstelle eingerichtet. Für den Bereich des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Württemberg e. V. wird nach Maßgabe seiner Satzung eine Ansprech- und Meldestelle eingerichtet.
(Zu § 3 Absatz 1 Satz 1)
1. Ansprechstelle
1.1
Personen, die in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, in Kirchengemeinden, Kirchenbezirken, Kirchlichen Verbänden und kirchlichen öffentlich-rechtlichen Stiftungen sexualisierte Gewalt erlebt oder davon erfahren haben und Personen, die den Verdacht auf sexualisierte Gewalt haben, sowie Leitungen von Dienststellen und andere Mitarbeitende im Sinne von § 1 Absatz 5 und 6 Satz 1 und 2 AGSB können sich an die Ansprechstelle wenden.
1.2
Die Ansprechstelle hat insbesondere folgende Aufgaben:
  1. Sie informiert und berät die in Nummer 1.1 genannten Personen bei Fragen zur Prävention, Intervention, Aufarbeitung und Unterstützung bei sexualisierter Gewalt;
  2. sie unterstützt Betroffene, vermittelt weiterführende Hilfen und nimmt auf Wunsch Kontakt zur Meldestelle auf;
  3. sie unterstützt Leitungen von Dienststellen bei der Präventionsarbeit, insbesondere bei der Implementierung und Weiterentwicklung von Notfall- und Handlungsplänen sowie Rahmenkonzepten gegen sexualisierte Gewalt;
  4. sie entwickelt Standards für die Präventionsarbeit, für den Umgang mit Vorfällen sexualisierter Gewalt sowie für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden im Sinne von § 1 Absatz 5 und 6 Satz 1 und 2 AGSB in Prävention und Intervention;
  5. sie ist zuständig für die wissenschaftliche Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg;
  6. sie fördert den fachlichen Austausch von Mitarbeitenden und Fachleuten und baut ein Netzwerk für die Betroffenen auf, die damit einverstanden sind;
  7. sie arbeitet mit regionalen und überregionalen Beratungs- und Unterstützungssystemen, insbesondere mit der Zentralen Anlaufstelle.help, zusammen und koordiniert ihre Aufgaben auf gesamtkirchlicher Ebene, indem sie in der Konferenz für Prävention, Intervention und Hilfe in Fällen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung auf der Ebene der EKD und in anderen den Arbeitsbereich betreffenden Gremien mitwirkt;
  8. sie benennt die Beratungsstelle gemäß § 31a Satz 2 PfDG.EKD und § 24a Satz 2 KBG.EKD.
1.3
Die Beratung kann anonym erfolgen. Die Gespräche in der Ansprechstelle sind vertraulich. Die Mitarbeitenden sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.
1.4
Die Ansprechstelle nimmt für die Unabhängige Kommission die Aufgaben der Geschäftsstelle wahr; sie nimmt Anträge auf Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids entgegen und stellt eine fachliche Begleitung der Kommission sicher.
2. Meldestelle
2.1
Personen, die in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, in Kirchengemeinden, Kirchenbezirken, Kirchlichen Verbänden und kirchlichen öffentlich-rechtlichen Stiftungen sexualisierte Gewalt erlebt oder davon erfahren haben und Personen, die den begründeten Verdacht auf sexualisierte Gewalt haben, können sich an die beim Evangelischen Oberkirchenrat eingerichtete Meldestelle wenden. Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte, privatrechtlich beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ehrenamtlich bei den in Satz 1 genannten Körperschaften und Stiftungen Tätige haben zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Verletzung des Abstinenz- und Abstandsgebotes oder sexualisierter Gewalt durch beruflich oder ehrenamtlich Mitarbeitende unverzüglich der Meldestelle mitzuteilen.
2.2
Die Meldestelle hat insbesondere folgende Aufgaben:
  1. Sie erfasst und prüft die ihr mitgeteilten Sachverhalte;
  2. sie trägt dafür Sorge, dass bei Vorkommnissen und in Fällen eines begründeten Verdachts auf sexualisierte Gewalt, insbesondere bei Verstößen gegen das Abstands- bzw. Abstinenzgebot, notwendige Interventionsmaßnahmen veranlasst werden; sie nimmt Kontakt zu den für dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen zuständigen kirchlichen Stellen auf;
  3. sie berät und unterstützt Leitungsverantwortliche und aufsichtführende Stellen im Umgang mit konkreten Vorkommnissen und Verdachtsfällen im Rahmen des geltenden Notfall- und Handlungsplanes und koordiniert bei Bedarf das Vorgehen mit den Verantwortlichen vor Ort; sie geht Hinweisen auf täterschützende Strukturen nach;
  4. sie dokumentiert alle gemeldeten Fälle, wertet diese statistisch aus und leitet die Ergebnisse zur wissenschaftlichen Aufarbeitung an die Ansprechstelle weiter.
Die rechtliche Verantwortung und die Zuständigkeiten der jeweiligen Dienststellenleitungen bleiben unberührt.
( 2 ) Die Benennung der Beratungsstelle gemäß § 31a Satz 2 PfDG.EKD und § 24a Satz 2 KBG.EKD erfolgt durch die Ansprechstelle nach Absatz 1 Satz 1.
( 3 ) Um Betroffenen, die im Geltungsbereich von § 1 Absatz 6 sexualisierte Gewalt durch Mitarbeitende erfahren haben, Unterstützung anzubieten, ist eine Unabhängige Kommission eingerichtet.
(Zu § 3 Absatz 3)
3.1
Die Unabhängige Kommission ist mit drei Mitgliedern besetzt, die von der Landesbischöfin oder vom Landesbischof im Einvernehmen mit dem Vorstand des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Württemberg e.V. für die Dauer von drei Jahren berufen werden. Wiederberufungen sind möglich. Die Mitglieder sind ehrenamtlich tätig. Sie sind in ihren Entscheidungen frei und nicht an Weisungen gebunden.
3.2
Für die Unabhängige Kommission ist beim Evangelischen Oberkirchenrat eine Geschäftsstelle eingerichtet.
3.3
Anträge auf Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids sind schriftlich oder mündlich an die Geschäftsstelle zu richten.
3.4
Die Unabhängige Kommission kann sich mit Zustimmung des Oberkirchenrats eine Ordnung geben.3#
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§ 4
Ehrenamtlich Tätige

( 1 ) Für ehrenamtlich Tätige und deren Beauftragung bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gelten die Regelungen der § 8 Absatz 2a Satz 1, §§ 24, 24a und 24b KBG.EKD und, abhängig von Art, Intensität und Dauer des Kontakts mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen, § 8 Absatz 2a Sätze 2 und 3 KBG.EKD und § 2a AG.KBG.EKD entsprechend (Verbot der Beauftragung bei einschlägigen Vorstrafen, Meldepflicht und Beratungsrecht, Abstands- und Abstinenzgebot, sowie Verpflichtung zur Vorlage erweiterter Führungszeugnisse).
( 2 ) In den Fällen des § 77 Absatz 1 KBG.EKD ist eine Beauftragung zu widerrufen; eine weitere Beauftragung ist unzulässig.
( 3 ) Für Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte im Ehrenamt gilt das Recht der Kirchenbeamten und Kirchenbeamtinnen nach Maßgabe des § 2 Absätze 4 und 7 AG.KBG.EKD.

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1 ↑ Red. Anm.: Die Bestimmungen der Ausführungsverordnung sind zwischen den §§ – jeweils eingerückt – abgedruckt.
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2 ↑ Red. Anm.: Diese Inhaltsübersicht ist nicht Bestandteil des kirchlichen Gesetzes.
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3 ↑ Red. Anm.: Abgedruckt unter Nr. 23a dieser Sammlung.